1938: Der Anschluss

Aus City ABC

(Weitergeleitet von Anschluss 1938)

Geschichte Wiens
Wien 1938 – Der „Anschluss“

Der sogenannte „Anschluss“ im März 1938 war ein tiefer Einschnitt in der Geschichte Wiens und Österreichs. Mit der Eingliederung in das nationalsozialistische Deutsche Reich verlor Österreich seine Eigenstaatlichkeit, und Wien wandelte sich innerhalb weniger Tage von der Hauptstadt eines kleinen, autoritär regierten Staates zur Großstadt des „Dritten Reiches“. Begeisterter Jubel eines Teils der Bevölkerung und brutaler Terror gegen politische Gegner und besonders gegen Jüdinnen und Juden prägten diese Wochen.

Politischer Hintergrund

Nach dem Zerfall der Habsburgermonarchie 1918 war Wien Hauptstadt der Ersten Republik Österreich geworden. Die junge Demokratie stand allerdings von Beginn an unter Druck: Wirtschaftskrisen, politische Radikalisierung, Straßenkämpfe und der Gegensatz zwischen Sozialdemokratie und konservativ-katholischen Kräften bestimmten das Bild der Zwischenkriegszeit.

1933/34 wurde die parlamentarische Demokratie schrittweise ausgeschaltet. Unter Bundeskanzler Engelbert Dollfuß und später Kurt Schuschnigg entstand der autoritäre „Ständestaat“, eine korporative Diktatur, die sich ausdrücklich gegen Nationalsozialismus und Kommunismus richtete. Die Sozialdemokratie wurde nach dem Bürgerkrieg von 1934 verboten, ihre Funktionärinnen und Funktionäre verfolgt, und viele Arbeiterinnen und Arbeiter fühlten sich politisch entrechtet.

Die österreichische NSDAP blieb verboten, konnte aber im Untergrund und über Propaganda aus dem Deutschen Reich Einfluss gewinnen. Adolf Hitler, selbst in Oberösterreich aufgewachsen, propagierte seit langem die Vereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich. In der österreichischen Bevölkerung standen nationalistische Begeisterung, katholisch geprägter Patriotismus, Angst vor Deutschland und Hoffnung auf wirtschaftliche Besserung nebeneinander.

März 1938: Die Eskalation der Krise

Im Frühjahr 1938 spitzte sich die Lage dramatisch zu. Unter massivem Druck aus Berlin versuchte Bundeskanzler Kurt Schuschnigg, durch eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Österreichs seine Position zu stärken. Für den 13. März 1938 war eine Abstimmung geplant, bei der die Bevölkerung „für ein freies und deutsches, unabhängiges und soziales, für ein christliches und nicht nationalsozialistisches Österreich“ stimmen sollte.

Dieser Schritt lief Hitler zuwider. Mit Drohungen, innenpolitischer Destabilisierung und dem Aufbau militärischen Drucks erzwang er den Rückzug. Am 11. März 1938 kündigte Schuschnigg im Radio seinen Rücktritt an und appellierte an die Österreicherinnen und Österreicher, „keinen Widerstand zu leisten“. Noch in derselben Nacht übernahmen österreichische Nationalsozialisten zentrale Stellen in Wien, während Hitler den Einmarsch der deutschen Wehrmacht vorbereiten ließ.

Am 12. März 1938 überschritten deutsche Truppen die Grenze nach Österreich. In vielen Orten und auch in Wien wurden sie von Teilen der Bevölkerung mit Fahnen, Blumen und Jubel empfangen. Organisierte Anhänger der NSDAP, aber auch Menschen, die sich Vorteile erhofften oder in nationaler Euphorie mitgerissen wurden, bildeten Spalier. Offizieller Widerstand blieb aus.

„Wiedervereinigung“ und Machtdemonstration in Wien

Bereits am 13. März 1938 wurde in Wien das „Bundesgesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ verkündet. In der Diktion des Regimes handelte es sich um einen freiwilligen Zusammenschluss, tatsächlich war es eine von außen erzwungene Annexion. Österreich wurde zur „Ostmark“ des Deutschen Reiches, und Wien verlor seinen Status als Hauptstadt eines eigenen Staates.

Am 15. März 1938 reiste Adolf Hitler nach Wien und hielt auf dem Heldenplatz eine Massenrede vor Hunderttausenden. Die Bilder der dicht gedrängten Menschenmenge, der Hakenkreuzfahnen und der jubelnden Menge gingen um die Welt und prägten das spätere Bild vom „Anschluss“. Für viele Wienerinnen und Wiener war dieser Tag ein Moment der Begeisterung oder zumindest der überwältigenden Inszenierung; für andere war er der sichtbare Beginn einer Zeit der Angst, Verfolgung und Entrechtung.

Die nationalsozialistische Propaganda inszenierte Wien als „heimgekehrte“ Stadt des Reiches. Zugleich begann die systematische Umstellung der Verwaltung, der Polizei und der Parteiorganisationen auf NS-Strukturen. Wiener Nationalsozialisten, die zuvor im Untergrund agiert hatten, traten nun offen auf und nahmen Schlüsselpositionen ein.

Terror und Verfolgung in der Stadt

Parallel zur politischen Inszenierung setzte unmittelbar eine Welle der Gewalt ein. Politische Gegner – ehemalige Funktionärinnen und Funktionäre der Sozialdemokratie, Christlichsozialen und anderer Gruppen – wurden verhaftet, misshandelt und in Konzentrationslager verschleppt. Besonders brutal traf es die jüdische Bevölkerung Wiens, die schon zuvor antisemitischer Hetze ausgesetzt gewesen war.

Bereits in den ersten Tagen nach dem Einmarsch kam es zu sogenannten „Reibpartien“: Jüdinnen und Juden wurden gezwungen, auf offener Straße Straßen und Gehsteige zu reinigen, politische Parolen zu entfernen oder Verunreinigungen zu beseitigen, während umstehende Menschen sie verspotteten oder belästigten. Diese Zwangsdemütigungen waren bewusst inszenierte Akte der Erniedrigung und ein frühes sichtbares Zeichen des antisemitischen Terrors.

In rascher Folge setzten Enteignungen und „Arisierungen“ ein. Jüdische Geschäfte, Praxen, Wohnungen und Betriebe wurden beschlagnahmt oder weit unter Wert an nichtjüdische Käufer übergeben. Berufsverbote, Ausschlüsse aus Universitäten, Vereinen und Institutionen schnitten Jüdinnen und Juden systematisch aus dem öffentlichen Leben heraus. Wien, das bis 1938 eine der größten jüdischen Gemeinden Europas beherbergt hatte, wurde zum Schauplatz eines radikal antisemitischen Programms, das in Deportation und Vernichtung mündete.

Wien als Stadt des „Dritten Reiches“

Mit dem „Anschluss“ wurde Wien in vielfacher Hinsicht umgebaut. Politisch wurde die Stadt in das System der Gauleitungen eingegliedert, später zur „Reichsgauhauptstadt“ ausgebaut und territorial vergrößert. Nationalsozialistische Architekturprojekte, Aufmärsche und Feiern sollten den neuen Charakter der Stadt sichtbar machen.

Im Alltag spürten die Menschen die neue Herrschaft auf sehr unterschiedliche Weise. Manche profitierten von der Ausgrenzung anderer, etwa durch Erwerb arisierten Eigentums oder Karrieresprünge. Andere verloren von einem Tag auf den anderen ihre Existenzgrundlage, ihre Rechte oder ihr Leben. Für viele bedeutete die neue Situation Anpassung, Opportunismus oder stilles Sich-Zurückziehen; offener Widerstand blieb eine gefährliche Ausnahme.

Wien wurde zu einem zentralen Schauplatz nationalsozialistischer Machtentfaltung und zugleich zu einem Ort, an dem Verfolgung, Angst und Gewalt zum Alltag gehörten. Die Bilder vom jubelnden Heldenplatz 1938 stehen daher immer auch im Schatten jener Menschen, die in diesen Tagen entrechtet, erniedrigt oder aus ihrer Heimat vertrieben wurden.

Bedeutung des „Anschlusses“ für Wien

Der „Anschluss“ 1938 markierte das Ende der österreichischen Eigenstaatlichkeit bis 1945 und veränderte die Rolle Wiens grundlegend. Aus der Hauptstadt eines kleinen Staates wurde eine Großstadt des „Dritten Reiches“, eingebunden in Kriegsvorbereitungen, Verfolgungspolitik und propagandistische Inszenierungen.

Für Wien bedeutete 1938 nicht nur einen politischen Systemwechsel, sondern eine tiefe Zäsur im gesellschaftlichen Gefüge. Die jüdische Gemeinde, die Kultur- und Wissenschaftsleben nachhaltig geprägt hatte, wurde in wenigen Jahren zerstört. Viele Intellektuelle, Künstlerinnen und Künstler, Wissenschafterinnen und Wissenschafter mussten emigrieren oder wurden Opfer des NS-Terrors.

Symbolisch steht Hitlers Rede auf dem Heldenplatz für den Moment der sichtbaren Machtergreifung. In der historischen Erinnerung ist sie zu einem Schlüsselbild geworden, das zugleich die Frage aufwirft, wie Zustimmung, Begeisterung, Angst und Zwang in diesen Tagen ineinandergriffen. Die Auseinandersetzung mit 1938 bleibt für Wien ein zentraler Bestandteil der Erinnerungskultur und des Nachdenkens über Verantwortung, Demokratie und Menschenrechte.

Navigation

← zurück zu Ringstraßenzeit
→ weiter zu 1945 - 1955: Wien in der Besatzungszeit

Quellen