1945 - 1955: Besatzungszeit in Wien
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Politische Ausgangslage 1945
Am 13. April 1945 wurde Wien von der Roten Armee erobert. Die Kämpfe der letzten Kriegswochen hatten weite Teile der Stadt, insbesondere Industrieanlagen, Bahnhöfe und Verkehrsachsen, schwer beschädigt. Auf die Befreiung folgten zunächst Chaos, unsichere Versorgung und eine völlig offene politische Situation.
Schon wenige Wochen später, am 27. April 1945, wurde in Wien die Zweite Republik ausgerufen. Unter dem provisorischen Staatskanzler Karl Renner bildete sich eine neue Bundesregierung, die das Ende des Nationalsozialismus politisch und symbolisch markieren sollte. Gleichzeitig blieb Österreich – und damit auch Wien – von den Alliierten militärisch besetzt. Die junge Republik musste sich ihren Handlungsspielraum in einem von den Siegermächten kontrollierten Umfeld erst erarbeiten.
Aufteilung Wiens in vier Besatzungszonen
Wie Deutschland und besonders Berlin wurde auch Wien in Besatzungszonen aufgeteilt. Jede der vier Siegermächte erhielt mehrere Bezirke der Stadt als eigene Zone:
- Sowjetische Besatzungszone: 2., 4., 10., 20., 21. und 22. Bezirk
- Amerikanische Besatzungszone: 7., 8., 9., 17., 18. und 19. Bezirk
- Britische Besatzungszone: 3., 5., 11., 12. und 13. Bezirk
- Französische Besatzungszone: 6., 14., 15. und 16. Bezirk
Der 1. Bezirk, die Innere Stadt, nahm eine Sonderstellung ein. Er wurde von allen vier Mächten gemeinsam verwaltet. Dieses Interalliensystem war ein europaweit einzigartiges Experiment: Vier Besatzungsmächte teilten sich die Verantwortung für das politische und symbolische Zentrum der Stadt.
Die Zonengrenzen verliefen quer durch den gewohnten Stadtraum. Wer von einem Bezirk in den anderen wollte, wechselte nicht nur Stadtviertel, sondern unter Umständen auch Machtbereich und Kontrollregime. Damit wurden die Besatzungszonen zu einem alltäglichen Erfahrungsraum für die Wienerinnen und Wiener.
Alltag in der Besatzungszeit
Der Alltag in Wien war in den ersten Nachkriegsjahren von Mangel geprägt. Zerstörte Wohnungen, eingeschränkte Infrastruktur und knappe Lebensmittelvorräte führten zu Wohnungsnot, Hunger und langen Warteschlangen. Viele Menschen lebten in Notquartieren, Kellern oder provisorisch reparierten Häusern, und der Wiederaufbau der Grundversorgung dauerte Jahre.
Der Schwarzmarkt wurde zu einer zentralen Überlebensstrategie. Kaffee, Zigaretten, Stoffe und Lebensmittel wechselten in Hinterhöfen, auf Plätzen und in Gaststätten den Besitzer. Besatzungssoldaten brachten neue Waren und Produkte in die Stadt. Besonders die Präsenz der amerikanischen Armee war mit Konsumgütern, Musik und Filmen verbunden, die das Bild der Nachkriegszeit bis heute prägen.
Die Kontakte zwischen Bevölkerung und Besatzungssoldaten waren ambivalent. Auf der einen Seite standen Hilfeleistungen, Schokolade, Zigaretten und die Faszination für Jazz, Kino und neue Moden. Auf der anderen Seite kam es zu Konflikten, Übergriffen und Gewalt. Besonders in der sowjetischen Zone erlitten viele Frauen massive sexuelle Gewalt. Diese Erfahrungen sind ein dunkles Kapitel der Besatzungszeit und blieben in vielen Familien lange tabuisiert.
Politik und Gesellschaft im Schatten des Kalten Kriegs
Politisch wurde Wien zu einem Labor des demokratischen Wiederaufbaus. SPÖ, ÖVP und KPÖ bildeten zunächst eine gemeinsame Koalitionsregierung, um die wichtigsten Aufgaben – Entnazifizierung, Versorgung, Wiederaufbau – gemeinsam zu bewältigen. In Wien selbst prägte bald die Sozialdemokratie die Stadtpolitik, knüpfte an Traditionen der Zwischenkriegszeit an und legte den Grundstein für den späteren Roten Wien der Nachkriegsära.
Gleichzeitig war Wien ein Brennpunkt des Kalten Kriegs. Westliche und sowjetische Einflusssphären trafen in einer Stadt aufeinander, deren Bezirke unterschiedlichen Mächten unterstanden. Geheimdienste, politische Parteien, Medien und Kulturinstitutionen wurden Teil eines stillen Ringens um Meinungen, Loyalitäten und Symbole.
In den Jahren 1948/49 verschärften sich die Spannungen zwischen den Westmächten und der UdSSR, ähnlich wie im zeitgleichen Konflikt um Berlin. Anders als dort kam es in Wien jedoch zu keiner Blockade der Stadt. Die Versorgung blieb, wenn auch eingeschränkt, gesichert. Dennoch war die politische Atmosphäre von Misstrauen, Propaganda und der Sorge geprägt, zwischen den Blöcken zerrieben zu werden.
Das Ende der Besatzungszeit
Mit dem Österreichischen Staatsvertrag vom 15. Mai 1955 wurde in Schloss Belvedere ein neues Kapitel aufgeschlagen. Die vier Alliierten anerkannten Österreich als unabhängigen und demokratischen Staat und erklärten sich zum Abzug ihrer Truppen bereit. Auf dem Balkon des Belvedere verkündete Außenminister Leopold Figl den berühmten Satz Österreich ist frei.
Am 26. Oktober 1955 beschloss der Nationalrat das Verfassungsgesetz über die immerwährende Neutralität Österreichs. Diese Neutralität war eine entscheidende Voraussetzung für den Staatsvertrag und wurde zu einem zentralen Element der österreichischen Identität in der Zweiten Republik.
Mit dem Abzug der letzten alliierten Soldaten endete die Besatzungszeit. Wien war nicht länger geteilte und kontrollierte Stadt, sondern Hauptstadt eines souveränen Staates. Die Spuren der zehn Jahre unter alliierter Verwaltung blieben jedoch sichtbar – in der Stadtplanung, in der politischen Kultur und in der Erinnerung der Bevölkerung.
Die Vier im Jeep: Symbol der Besatzungszeit
Ein besonders einprägsames Bild der Besatzungszeit war das der Vier im Jeep. Der 1. Bezirk wurde von allen vier Mächten gemeinsam verwaltet. Um diese gemeinsame Verantwortung sichtbar zu machen, fuhren ab 1945 täglich gemischte Militärstreifen durch die Innere Stadt.
In einem offenen Jeep saßen je ein Soldat der US-Army, der British Army, der französischen Armee und der Roten Armee. Sie patrouillierten über den Stephansplatz, die Ringstraße, zum Heldenplatz oder vor die Wiener Staatsoper. Die Aufgabe dieser Patrouillen war die Kontrolle der öffentlichen Ordnung, die Verhinderung von Alleingängen einer Besatzungsmacht und die demonstrative Präsenz aller vier Siegermächte im gemeinsamen Verwaltungsgebiet.
Für die Wienerinnen und Wiener wurden die Jeeps schnell zu einem alltäglichen Anblick. Sie standen für eine fragile Kooperation in einer Zeit wachsenden Misstrauens. Einerseits wirkten sie beruhigend, weil keine Macht den 1. Bezirk allein kontrollierte. Andererseits erinnerten sie täglich daran, dass die Stadt nicht unabhängig war, sondern unter internationaler Aufsicht stand.
Zahlreiche Fotografien aus den Jahren 1945–1955 zeigen die Vier im Jeep vor bekannten Wiener Gebäuden. 1951 griff eine schweizerische Filmproduktion dieses Motiv auf: Unter dem Titel Die Vier im Jeep (Regie: Leopold Lindtberg) wurde die Geschichte der Patrouillen und der Menschen in ihrem Umfeld zum Thema eines Spielfilms. Bis heute gilt das Bild des mit vier Soldaten besetzten Jeeps als ikonische Chiffre für die Wiener Nachkriegszeit.
- Wien in der Besatzungszeit 1945–1955
- Wien Trümmer Stephansdom 1945.jpg
Trümmerlandschaft rund um den Stephansdom nach 1945
- Besatzungszonen Wien Karte.jpg
Schematische Darstellung der vier Besatzungszonen in Wien
- Vier im Jeep Wien.jpg
Gemischte Patrouille der vier Alliierten in der Inneren Stadt
- Staatsvertrag Belvedere 1955.jpg
Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrags im Schloss Belvedere 1955
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