1428: Die Hussiten vor Wien

Aus City ABC

Geschichte Wiens
1428: Hussiten vor Jedlesee und Stockerau

Im Jahr 1428 rückte eine neue, gefürchtete Kriegspartei bis an die Vororte von Wien heran: die Hussiten aus Böhmen. Ihr Zug durch Niederösterreich erreichte den Donauraum nördlich der Stadt und bedrohte Orte wie Stockerau und Jedlesee. Von dort aus konnten sie die Verkehrswege kontrollieren und sogar auf das gegenüberliegende Ufer bei Nußdorf feuern. Wien selbst wurde in diesen Wochen nicht direkt erobert, stand aber sichtbar im Schatten eines Krieges, der lange Zeit vor allem in Böhmen und Mähren getobt hatte.

Hintergrund: Die Hussitenkriege erreichen Niederösterreich

Die Hussitenkriege hatten ihren Ursprung in der Kirchenreformbewegung rund um Jan Hus und die religiösen und politischen Spannungen im Königreich Böhmen. Nach mehreren gescheiterten Kreuzzügen gegen die Hussiten verlagerten sich die Kämpfe zunehmend in einen offensiven Abwehrkrieg: Hussitische Heere unternahmen Vorstöße in benachbarte Länder, um Gegner zu schwächen, Beute zu machen und Druck auf den römisch-deutschen König und seine Verbündeten auszuüben.

Seit Mitte der 1420er Jahre waren auch die österreichischen Länder verstärkt betroffen. Herzog Albrecht V. versuchte, seine Herrschaftsgebiete zu schützen, konnte aber trotz wiederholter Aufgebote nicht verhindern, dass hussitische Verbände immer wieder nach Niederösterreich vorstießen. 1428 kam es zu einem besonders schweren Zug, der große Teile des Landes nördlich der Donau verheerte und schließlich bis in den unmittelbaren Vorraum Wiens reichte.

Stockerau unter Druck

Stockerau, das am Übergang vom Wiener Becken ins Weinviertel und an einer wichtigen Nord-Süd-Verbindung lag, geriet früh in den Fokus der Hussiten. Als befestigte Markt- und Pfarrsiedlung diente der Ort als Sicherungsposten für den Weg in Richtung Korneuburg und Wien. Berichte aus der Zeit schildern, dass die Hussiten im Zuge ihrer Vorstöße die Umgebung plünderten und gelegentlich ganze Orte niederbrannten.

Für die Bevölkerung Stockeraus bedeuten diese Angriffe Flucht, Zerstörung und den Verlust von Hab und Gut. Kirchen und Höfe wurden verwüstet, Felder verheert, und zahlreiche Bewohner kamen ums Leben oder wurden verschleppt. Die Erinnerung daran, dass die Hussiten kamen, blieb in der lokalen Überlieferung noch lange lebendig und prägte das Bild vom 15. Jahrhundert als einer Zeit wiederkehrender Kriegszüge und Unsicherheit.

Jedlesee: Wagenburg gegenüber Nußdorf

Besonders eindrücklich ist die Überlieferung für Jedlesee, das damals noch ein eigenständiges Dorf nördlich der Donau war und heute zum 21. Bezirk von Wien gehört. Ende Mai 1428 erschienen hussitische Truppen vor Jedlesee und errichteten dort eine Wagenburg – jenes typische, mit Wagen verschanzte Lager, das den Hussiten im Feld vielfach Schutz und Beweglichkeit zugleich bot.

Von dieser Stellung aus konnten sie nicht nur das Umland kontrollieren, sondern auch über die Donau hinweg das gegenüberliegende Nußdorf beschießen. Damit rückte die Kriegsfront unmittelbar an den Rand des Wiener Raumes heran. Für die Bewohner Jedlesees bedeutete das Lager der Hussiten vor ihrer Haustür eine massive Bedrohung: Plünderungen, das Einziehen von Vorräten, Gewalt und die permanente Angst vor einem Sturm auf das Dorf gehörten zum Alltag dieser Wochen.

Wien in Alarmbereitschaft

Auch wenn die Stadtmauern Wiens im Jahr 1428 nicht direkt bestürmt wurden, war die psychologische Wirkung der hussitischen Präsenz vor den nördlichen Toren enorm. Die Nachrichten über verbrannte Dörfer, geplünderte Klöster und bedrohte Märkte im Weinviertel verbreiteten sich rasch. In Wien selbst wurden Wachen verstärkt, Vorräte angelegt und die Verteidigungsbereitschaft erhöht.

Herzog Albrecht V. versuchte, mit einer neuen militärischen Organisation zu reagieren. Dazu gehörte, dass nicht nur Adel und Ritterschaft, sondern auch breite Teile der Landbevölkerung im Rahmen von Aufgeboten für Verteidigungszwecke herangezogen wurden. Dennoch zeigte gerade der Zug von 1428, wie begrenzt die Möglichkeiten waren, eine bewegliche, kampferprobte Streitmacht wie die Hussiten vollständig vom eigenen Territorium fernzuhalten.

Für die Wiener bedeutete dies, dass die Sicherheit ihrer Stadt nicht mehr allein durch Mauern und Stadttore gewährleistet war, sondern von der Lage im weiteren Umland abhing. Ereignisse in Orten wie Stockerau oder Jedlesee waren keine fernes Provinzgeschehen, sondern direkte Vorboten einer Gefahr, die jederzeit auch die Stadt selbst hätte treffen können.

Kriegsalltag im Umland: Plünderung, Flucht und Unsicherheit

Der hussitische Zug von 1428 war für die ländliche Bevölkerung nördlich der Donau eine Katastrophe. Dörfer wurden geplündert, Vorräte beschlagnahmt, Viehherden getrieben und Gebäude angezündet. Menschen flohen in Wälder, in befestigte Märkte, auf Burgen oder – soweit möglich – in Richtung Wien, in der Hoffnung, hinter den Stadtmauern Schutz zu finden.

Gleichzeitig galten die Hussiten in Teilen der Bevölkerung nicht nur als Feinde, sondern auch als Träger einer radikalen, kirchenkritischen Botschaft. Die Realität vor Ort war jedoch weniger von theologischen Diskussionen als von der harten Erfahrung eines raschen, kriegerischen Durchzugs geprägt. Für die meisten Betroffenen blieb von den Hussiten vor allem die Erinnerung an Feuer, Gewalt und Verlust.

Langfristige Bedeutung der Ereignisse von 1428

Die Bedrohung von Jedlesee und Stockerau im Jahr 1428 macht deutlich, dass der Wiener Raum im 15. Jahrhundert Teil eines größeren Konfliktfeldes war, das von Böhmen bis tief nach Niederösterreich reichte. Die Stadt selbst war damals noch nicht zur kaiserlichen Hauptresidenz aufgestiegen, doch ihre strategische Lage an der Donau machte sie zu einem Schlüsselziel für jeden, der die Region dominieren wollte.

Die Ereignisse von 1428 gehören zu einer Reihe von Kriegszügen, die das nördliche Niederösterreich im 15. Jahrhundert wiederholt erschütterten. Sie zeigen, wie eng das Schicksal Wiens mit dem seiner Umlandgemeinden verknüpft war: Was in Stockerau oder Jedlesee geschah, war ein unmittelbarer Teil der Stadtgeschichte, auch wenn die Mauern Wiens in diesem Jahr standhielten.

Quellen