Sagen und Legenden
Der Teufel und die goldene Monstranz
Goldschmiedgasse
Ein Goldschmied in der Goldschmiedgasse hatte dem Domkapitel eine neue Monstranz versprochen – noch prächtiger als alle bisher gesehenen. Aber die Frist war da, und das Werk nicht vollendet. Da klopfte es nachts an die Werkstatt: Ein Herr in dunklem Samt trat ein, die Augen wie glühende Kohlen. Er könne helfen, flüsterte er, und legte Körner feinsten Goldes auf den Tisch. Bis zur Morgenglocke solle das Stück fertig sein – nur einen kleinen Lohn verlange er: das, was der Meister am meisten liebe.
Die Hämmer sangen durch die Nacht; das Gold floss, als hätte es eigenen Willen. In der Morgendämmerung stand die Monstranz da wie eine Sonne. Der Fremde kam, um seinen Lohn zu fordern. Da erschrak der Meister: Er liebte nicht Gold und Ruhm – sondern seine Seele. Er packte die Monstranz und floh zur Tür. Der Herr folgte ihm bis auf die Straße, aber als das erste Läuten zum Fronleichnam vom Stephansdom herüberklang, fuhr er zurück und krallte die Finger in den Stein des Gewändes. Man zeigte später die Spuren an einem Portal.
Die Prozession zog, und die Leute behaupteten, die Monstranz habe an diesem Tag heller geleuchtet als die Sonne am Mittag – denn sie sei dem Teufel aus den Händen gerissen worden. Seither warnte man in der Gasse: Hüte dich vor Nächten, in denen das Gold zu leicht gelingt.
Historischer Hintergrund
Zur Einordnung: Monstranzen sind kostbare Schaugefäße für das Altarsakrament; ihre Weihe und öffentliche Schau in der Fronleichnamsprozession war in Wien eine städtische Feier erster Ordnung. Die Sage verbindet die Goldschmiedetradition der Gegend um den Dom (u. a. Goldschmiedgasse) mit beliebten Wiener Teufelsmotiven: nächtlicher Werkstattbesuch, Handel um die Seele, Rettung durch Glockengeläut und gezeigte Kratzspuren an einem Portal. Als Moralgeschichte richtet sie sich gegen Hybris und Habgier – und erklärt auffällige Ortsdetails erzählerisch.
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Quellen
- ↑ Wiener Sagensammlungen (Teufel und nächtliche Werkstatt; Fronleichnamsmotiv; »Kratzspuren«-Topos an Portalen in der Innenstadt).