Sagen und Legenden
Die Legende der Fischerstiege
Die Legende der Fischerstiege
Blick durch die Fischerstiege, 1902, Aquarell von Gustav von Korompay
„Es sei schon um das Jahr 882 auf dem Hügel hart an der Donau, am Gestade - im Munde des Volkes auf der Gestatten, wie diese Stadtgegend noch genannt wird - gegen die obere Donauinsel Rossau durch die Andacht der Fischer, Schiff- und Kaufleute eine Kapelle zu unserer lieben Frau entstanden. Von der Stelle, wo die Schiffe landeten und wo die Waren, vorzüglich Salz, am kiesigen Ufer ausgeladen wurden - woher der Name Salzgries entstand -, am Fuße des Berges stiegen diese Leute auf dem Steige auch zum alten Ruprechtskirchlein hinauf oder näher über die von den Fischhändlern erbaute Stiege, die Fischerstiege, zu dieser Marienkapelle am Gestade, oder Mariastiege.
Man sieht hieraus, dass die Fischerstiege der älteste Teil der Stadt ist, von wo die Fischer und Schiffleute, die Bewohner derselben mit Lebensmitteln, vorzüglich mit Fischen, versorgt wurden. Auch der Name Fischerstiege ist uralt und kommt schon in den frühesten Urkunden als ad gradus piscatorum vor. Er besteht heute noch und ist auf das Haus Nr. 369 übergegangen, worauf sich ein uraltes im Jahr 1839 aufgefrischtes Wandgemälde befindet, eine brückenartige Stiege und die Bibelstelle vom Fischzuge Petri vorstellend, mit der Unterschrift:
- Dieses Haus steht in Gottes Hand
- Zur Fischerstiege wird es genannt"
Eine weitere Legende erzählt wunderliches zur Stiege:
Wenn Nebel vom Wasser heraufzog, hörte man – so erzählten die Leute am Salzgries – ein leises Rufen wie von Ferne: Hieher, Fisch! Dann sah man eine kleine Laterne die Fischerstiege hinunterkommen, als trüge sie eine unsichtbare Hand. Wer ihr folgte, fand sicheren Tritt zwischen nassen Stufen und rutschigen Bohlen; wer lärmte oder drängte, dem erlosch das Licht.
In einer Hochwassernacht soll ein alter Fischer seine Netze retten wollen. Eine Gestalt in blauem Tuch stand oben an der Stiege und hob die Laterne dreimal; der Mann trat zur Seite, und ein Balken schlug genau dort auf, wo er stehen wollte. Seither zündeten Nachbarn zu St. Niklas-Tagen ein kleines Licht an der Wand an und sagten: Die Stiege schaut nach uns. Später hing über einer Tür ein Hausschild mit einer Frau, die zum Wasser hinabschaut – Fischermädl an der Stiege. So blieb die Stiege der Ort, an dem das Wasser zur Stadt spricht.[2]
Historischer Hintergrund
Zur Einordnung: Die Datierung 882 gehört in den Bereich der Tradition. Für Maria am Gestade liegen die frühesten sicheren Hinweise erst im 12. Jahrhundert (indirekt 1137, belegt 1158); der heutige Bau ist hoch-/spätgotisch. Mariastiege und Am Gestade beziehen sich auf die Lage am Hochgestade des damaligen Donauarms.[3][4]
Der Salzgries bezeichnete die Anlande- und Umschlagstelle am kiesigen Ufer; der Name ist seit dem 14. Jahrhundert (1322) belegt und verweist auf den Salzhandel. Die Fischerstiege ist als Verkehrsweg vom Ufer ins Stadtgebiet seit 1373 urkundlich genannt; die Verbindung zur Versorgung mit Fisch ist topographisch und namentlich gesichert.[5][6]
Die Ruprechtskirche gilt in der Überlieferung als älteste Kirche Wiens und steht im Zusammenhang mit Salz- und Schifffahrtstraditionen; diese Nähe erklärt, warum Legenden die Wege von Ufer, Stiege und Kapelle verbinden.[7]
Quellen
- ↑ Realis (=Gerhard Cockelberghe-Duetzele), Geschichten, Sagen und Merkwürdigkeiten aus Wiens Vorzeit, Wien 1846, S. 440
- ↑ Wiener Sagenüberlieferung zum Salzgries und zur Fischerstiege (19.–20. Jh.); Retellings im Umfeld der Donauarm-Gassen.
- ↑ Wien Geschichte Wiki: Maria am Gestade – Anfänge im Dunkeln; Erstnennungen 1137/1158.
- ↑ Wien Geschichte Wiki: Am Gestade – Stiegenanlage/Toponymie.
- ↑ Wien Geschichte Wiki: Salzgries – Bezeichnung ab 1322; Lage am Donauarm.
- ↑ Wien Geschichte Wiki: Fischerstiege – Erstnennung 1373; Verlauf vom Donauarm (Salzgries) in die Stadt.
- ↑ Wien Geschichte Wiki: Ruprechtskirche.