Handwerk in Wien

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Wirtschaft & Arbeit
Handwerk
Unter Handwerk verstand man im mittelalterlichen Wien nicht nur manuell-technisches Gewerbe, sondern auch Dienstleistungsgewerbe und den Kleinhandel. Handwerker stellten den weitaus größten Teil der bürgerlichen Bevölkerung und wurden dadurch auch zu einem spürbaren politischen Faktor in der Stadt.

Begriff und Bedeutung

Im mittelalterlichen Sprachgebrauch war Handwerk ein breiter Sammelbegriff. Er umfasste nicht nur die klassische Werkstattarbeit – etwa in Metall, Leder, Holz oder Textil –, sondern ebenso Tätigkeiten, die man heute als Dienstleistung oder kleinteiligen Handel bezeichnen würde. In einer Stadt wie Wien, in der Versorgung, Reparatur, Herstellung und Vertrieb eng ineinandergriffen, war diese begriffliche Weite alltagsnah und funktional.[1]

Weil Handwerker den zahlenmäßig größten Anteil der bürgerlichen Bevölkerung ausmachten, prägten sie nicht nur die städtische Wirtschaft, sondern auch die sozialen und politischen Kräfteverhältnisse. Ihre Interessen standen dort im Raum, wo Preise, Qualität, Versorgungssicherheit oder Marktzugänge verhandelt wurden.[2]

Zeitfenster Orientierung
Mittelalter Breiter Handwerksbegriff inklusive Dienstleistung und Kleinhandel; Handwerker als Mehrheit der Bürger; Beteiligung an Innerem und Äußerem Rat.
1396–1412 Ratswahlprivileg: Handwerker sollen ein Drittel stellen; kurzfristig sehr hoher Einfluss, teils absolute Mehrheit; danach Stabilisierung um das vorgesehene Drittel.
15. Jahrhundert Handwerksordnungen als Ausgleich zwischen Gewerbeinteressen und öffentlichem Interesse; große Vielfalt der Gewerbe, im Handwerksordnungsbuch dokumentiert.
12. März 1526 Stadtordnung Ferdinand I.: Entzug des Wahlrechts in den Stadtrat und formales Ende des politischen Einflusses der Handwerker.
16.–18. Jahrhundert Nebeneinander bürgerlicher Handwerker, Hofhandwerker, privilegierter Gruppen; Handwerk bleibt stadtbild- und alltagsprägend.
ab 1859 Gewerbeordnung und Gewerbefreiheit als Schritt in die moderne Gewerbeordnung; Wandel der Organisations- und Marktformen.
20.–21. Jahrhundert Industrialisierung und Massenproduktion neben Spezialisierung und Reparatur; Handwerk als KMU-geprägter Sektor; Lehre und Weiterbildung als zentrale Träger; Einbindung in produktive Stadtzonen.

Handwerker und Stadtpolitik

Schon im 13. Jahrhundert sind in Wien vereinzelt Handwerker im seit 1221 belegten Inneren Rat nachweisbar. Vor allem Vertreter des Luxusgewerbes wie Kürschner oder Goldschmiede wurden wiederholt Mitglieder des Rats. Am 1356 erstmals urkundlich erwähnten Äußeren Rat waren Handwerker ebenfalls beteiligt – hier sogar zahlreicher als im Inneren Rat.

Das Ratswahlprivileg von 1396 räumte Handwerkern das Recht ein, neben Erbbürgern und Kaufleuten ein Drittel der Ratsmitglieder zu stellen. In mehreren überlieferten Ratslisten um 1396/1397 bis 1402/1403 stellten Handwerker zeitweise sogar die absolute Mehrheit; von 1403 bis 1412 entsprach ihre Vertretung ungefähr dem vorgesehenen Drittel. In den folgenden Jahrzehnten erreichten sie – trotz Privileg – nicht mehr diesen hohen direkten Einfluss.[3]

Verbände, Versorgung und Handwerksordnungen

Die Ausübung eines Handwerks war zwar von Angebot und Nachfrage abhängig, zugleich aber auch politisch und rechtlich gerahmt. In Wien mussten der Stadtherr (als Landesfürst) und die Bürgergemeinde (vertreten durch den gewählten Rat) auf drei Ziele achten: ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Bedarfsgütern, Sicherung des bürgerlichen Wohlstands sowie die Wahrung der Warenqualität. Daraus entstand ein dauerhaftes Spannungsfeld zwischen wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbe und dem öffentlichen Interesse an Ordnung, Preisen und Standards.

Handwerker organisierten sich in Verbänden wie Bruderschaften oder Zechen. Um die unterschiedlichen Interessen auszugleichen, wurden Handwerksordnungen erlassen. Sie regelten unter anderem Ausbildung, Produktion, Qualitätsanforderungen, Marktauftritt und teils auch soziale Pflichten innerhalb der Verbände.

Das Wiener Handwerksordnungsbuch

Eine zentrale Quelle für die spätmittelalterliche Wiener Gewerbewelt ist das Handwerksordnungsbuch, das der Wiener Stadtschreiber Ulrich Hirssauer 1430 anlegte. Es dokumentiert die Vielfalt der in Wien vertretenen Handwerksbranchen und macht sichtbar, wie breit die städtische Ökonomie im Alltag aufgestellt war. Für das 15. Jahrhundert ist von deutlich über 100 verschiedenen Gewerben auszugehen.

1526: Ende des formalen politischen Einflusses

Der politische Einfluss der Handwerker wurde schließlich auch formal begrenzt. Ferdinand I. entzog ihnen mit der Stadtordnung vom 12. März 1526 das Recht der Wahl in den Stadtrat und beschnitt darüber hinaus weitere politische Rechte. Damit endete eine Phase, in der Handwerker – zumindest zeitweise – als eigenständiger Machtfaktor in der städtischen Repräsentation sichtbar gewesen waren.

Frühneuzeit: Hof, Militär und privilegierte Kategorien

Ab dem 16. Jahrhundert gab es in Wien neben den bürgerlichen Handwerkern weitere Kategorien. Dazu zählten Hofhandwerker, die dem Hofstaat zugeordnet waren und für den Hof arbeiteten, Soldaten der Stadtguardia (bis 1741), die handwerkliche Tätigkeiten zur Aufbesserung ausüben durften, sowie hofbefreite Handwerker, die Sonderstellungen und Privilegien besaßen.[4]

Für das Handwerk bedeutete diese Gemengelage eine dauerhafte Koexistenz von städtisch regulierten Gewerben, höfischen Bedarfsstrukturen und Sonderrechten. Gleichzeitig blieb die Werkstatt vielfach eng mit Wohn- und Nachbarschaftsräumen verbunden, sodass Handwerk auch ein prägender Faktor für Stadtbild und Alltagskultur blieb.

19. Jahrhundert: Gewerbereformen und Übergang in die Moderne

Im 19. Jahrhundert verschoben sich die Rahmenbedingungen grundlegend. Ein Meilenstein war die Gewerbeordnung vom 20. Dezember 1859, die für weite Teile des damaligen Reiches ein einheitliches Gewerberecht brachte und auf dem Grundsatz der Gewerbefreiheit beruhte. Damit wandelten sich ältere Ordnungssysteme in Richtung moderner Gewerbe- und Betriebsstrukturen, während Ausbildung, Qualifikation und Interessenvertretung in neuen Formen organisiert wurden.[5]

In Wien überlagerten sich ab dieser Zeit traditionelle Werkstätten, größere Betriebe und frühe industrielle Produktionsformen. Gerade Baugewerbe, Metallverarbeitung, Druck- und Papiergewerbe, Bekleidung und Versorgungshandwerke standen im Spannungsfeld von Mechanisierung, wachsender Stadtbevölkerung und neuen Absatzmärkten.

20. Jahrhundert: Massenproduktion, Spezialisierung und Wiederaufbau

Im 20. Jahrhundert veränderten Massenproduktion und neue Materialien viele Gewerbe. Ein Teil klassischer Handwerksarbeit wurde in Fabrik- und Serienfertigung überführt, während sich Handwerksbetriebe zunehmend über Qualität, Reparatur, Sonderanfertigungen und spezialisierte Dienstleistungen positionierten. Nach 1945 spielte Handwerk im Wiederaufbau – vom Bau- und Ausbaugewerbe bis zu Installationen und Reparaturen – eine zentrale Rolle, weil Wohnraum, Infrastruktur und Betriebe in kurzer Zeit wieder funktionsfähig gemacht werden mussten.

Für die Qualifizierung und Weiterbildung gewann die institutionalisierte Gewerbeförderung an Bedeutung. In diesem Kontext wurden Wirtschaftsförderungsinstitute wie das WIFI zu einem wichtigen Bestandteil der beruflichen Aus- und Weiterbildung in der gewerblichen Wirtschaft.[6]

Handwerk heute: Teil der Wiener Dienstleistungsstadt, mit stabilen Ausbildungsstrukturen

Wien ist heute wirtschaftlich stark dienstleistungsorientiert; dennoch bleibt der produzierende Bereich (Industrie und Gewerbe) ein relevanter Bestandteil der Stadtökonomie. Standortberichte der Stadt Wien weisen für Wien weiterhin einen nennenswerten Anteil von Industrie und Gewerbe an der Bruttowertschöpfung aus, obwohl Dienstleistungen dominieren.[7]

In der aktuellen Struktur ist Handwerk besonders über klein- und mittelbetriebliche Unternehmensformen sichtbar: in Bau- und Ausbaugewerben, Reparatur- und Wartungsleistungen, personenbezogenen Dienstleistungen, spezialisierten Werkstätten sowie in kreativen Gewerben an der Schnittstelle zu Gestaltung und Kultur. Stadtentwicklungsdokumente nennen Handwerk explizit als gewünschte Nutzung in produktiven Stadtzonen und verknüpfen es mit Logistik, Reparatur, Kreislaufwirtschaft und technischer Bildung.[8]

Ein stabiler Träger der Handwerksreproduktion bleibt die Lehre. Für Wien wird in Studien zur Fachkräftesituation hervorgehoben, dass ein großer Anteil der Lehrbetriebe dem Bereich Gewerbe und Handwerk zugeordnet ist, wodurch Handwerk weiterhin ein bedeutender Ausbildungssektor ist.[9]

Auch die Wirtschaftskammer Wien beschreibt Handwerk als traditionsreichen und zugleich wirtschaftlich relevanten Bereich, dessen Betriebe Wissen, Fertigkeiten und regionale Wertschöpfung sichern und laufend an neue Anforderungen – etwa bei Technik, Material, Energie oder Kundenservice – angepasst werden.[10]


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Quellen